"Philipp ist eine tickende Zeitbombe"

Wetter, 19.06.2007, Von Helmut Ullrich

Wetter. Nach Auffassung von Oberstaatsanwalt Wolfgang Rahmer war es Mord. Dafür soll Philipp J. (20) die Höchststrafe erhalten, die das Jugendrecht für solche Taten vorsieht. Der Ankläger forderte zehn Jahre Gefängnis.

Am 20. Verhandlungstag im "Nadine-Prozess" wurde gestern plädiert. Selbst Verteidiger Dr. Ralf Neuhaus war mit seinem Antrag nicht weit vom Höchststrafmaß entfernt. Er will, dass Philipp zu neun Jahren und drei Monaten Haft verurteilt wird - aber nicht wegen Mordes, sondern lediglich wegen Totschlags. Im Rahmen der Verbüßung sollte sein Mandant dann eine Sozialtherapie absolvieren: "Er braucht eine Gesamterziehung im Strafvollzug." Mit Spannung wurde gegen Mittag "das letzte Wort" des Angeklagten erwartet (siehe Kasten).

Der grausame Mord an Schülerin Nadine (15) sei für die Einwohner von Wetter ein "kollektiver Schock" gewesen, "ein regelrechter Albtraum", betonte Oberstaatsanwalt Rahmer. Ausdrücklich lobte er die hervorragende Ermittlungsarbeit der Beamten, die schnell und effektiv zum Ziel geführt hätte. Als der Täter dann schließlich gefasst worden war, habe es in der Bevölkerung eine "große Erleichterung gegeben", bis in die tiefe Nacht wären bei der Polizei Dankesanrufe eingegangen.

Der Ankläger plädierte eine Stunde und 11 Minuten lang, die beiden Verteidiger zusammen eine Stunde und 26 Minuten, die beiden Opferanwälte zusammen 28 Minuten. Hier die wichtigsten Auszüge:

Oberstaatsanwalt Wolfgang Rahmer, zugleich Anklageverfasser: "Philipp J. ist eine tickende Zeitbombe. Ich habe in meiner Berufslaufbahn nie ein instinktloseres und sinnloseres Verbrechen erlebt."

"Es war Verdeckungsmord. Erst schlug der Anklagte mit einer schweren Stabtaschenlampe auf Nadines Kopf, bis es stark blutete. Um dies zu verdecken, beschloss er, sie zu beseitigen, riss ein Telefonkabel aus der Wand, legte es ihr um den Hals und zog es zu. Es folgten 12 Messerstiche."

Und zum Angeklagten: "Eigentlich hätte man erwarten können, dass jemand, der kein Profimörder ist, entsetzt den Tatort verlässt. Nichts dergleichen. Sie haben systematisch Wasser vergossen, um die Spuren zu beseitigen. Jeder andere Mensch würde nach so einer grausamen Tat am ganzen Körper zittern. Und sie chatten kurz darauf, als ob nichts gewesen wäre."

"Nadine war ein Mädchen voller Lebensfreude, aufgeweckt, fröhlich und offen, ein Sonnenschein. Der Angeklagte schnürt sich in Haft bereits sein Rundum-Sorglos-Paket für die Zukunft. Die Eltern von Nadine haben diese Zukunft mit einem geliebten Menschen leider nicht mehr."

Dr. Ralf Neuhaus (Dortmund), Wahlverteidiger von Philipp J., klang zeitweilig wie ein Pastor: "Nähere dich einer Sache ohne Zorn. Das Engagement für den Geringeren, das ist es, was zur Gerechtigkeit beiträgt."

"Wir ziehen hier den juristischen Schlussstrich unter eine absolut sinnlose Tragödie. Der wahrhaft entsetzliche Kummer wird noch lange andauern und in Jahrzehnten nicht vergeben. Nadine ist tot, nichts und niemand wird sie uns zurückbringen."

"Philipp wirkte im Prozess oft so unberührt. Aber müsste er nicht wimmern, angesichts des Elends, das er verursacht hat, müsste er nicht zu Kreuze kriechen? Manchem erschien es als Frechheit: Das passt zu einem Monster. Doch so, wie es den falschen schönen Schein gibt, so gibt es auch den falschen hässlichen Schein, der sich aus Hilflosigkeit ergibt und sich in Arroganz und Trotz äußert. Philipp gab den Clown, doch in Wahrheit war er einsam."

"Die lebenslange Schuld, die trägt er mit sich herum. Glauben Sie bitte nicht, dass ihn das nicht beeinträchtigt." "Philipp hat einen Intelligenzquotienten von 113. Wer soviel im Kopf hat, der muss auch was im Herzen haben."

Nebenkläger Roland Pohlmann (Iserlohn), vertritt den Vater der getöteten Nadine: "Die Fassungslosigkeit der Bevölkerung in Wetter ist nur teilweise gewichen. Fassungslos muss man immer noch sein, weil es überhaupt keine Erklärung gibt für das ,Warum?' Weil der Einzige, der es uns sagen könnte, an diesem Punkt schweigt."

"Auf das ,Warum?' haben die Eltern und die Schwester hier nicht ansatzweise eine Antwort bekommen. Das ist das, was sie so quält. Die Trauerarbeit ist noch lange nicht abgeschlossen."

"Die Tat war ein fürchterlicher Gewaltexzess, ein scheußliches Tötungsdelikt. Zwölf Messerstiche gingen ins Gesicht. Ein Messerstich traf mitten ins Auge. Es war eine Orgie der Gewalt."

"Ich habe auch Probleme mit der Anwendung des Jugendstrafrechts. Überzeugend war das, was uns der Sachverständige sagen konnte, nicht."

"Der Gutachter hat gesagt, er fühle sich in vielen Dingen belogen. Was dem Gutachten zugrunde liegt und von Philipp stammt, könnte deshalb eigentlich gar nicht verwendet werden, weil er lügt. Insofern steht das Gutachten auf sehr unsicherer Grundlage."

Rudolf Esders, 17 Jahre lang Schwurgerichtsvorsitzender in Essen, jetzt Pflichtverteidiger von Philipp J.: "Kein Mensch kann eine solche Tat verzeihen. Niemand wird die Angehörigen von ihrem Leid befreien, nicht die Eltern, die ihre geliebte Tochter verloren haben, nicht die Schwester, die ihre einzige Schwester verloren hat. Aber auch Philipps Eltern haben lange gebraucht, sich damit abzufinden, dass ihr einziger Sohn eine solche Tat begangen hat. Auch sie sind zutiefst erschüttert."

Opferanwältin Heike Tahden-Fahrhat (Gevelsberg), vertritt die Mutter und Schwester: "Die Verhandlungsführung ließ den Respekt vor der Ermordeten erkennen."

"Die Mutter von Nadine ist der Meinung: Philipp ist gefährlich. Sie hat Angst, dass, wenn er entlassen wird, sich eine solche Tat wiederholen könnte."

"Ich kann Jugendstrafrecht nicht vertreten. Philipp hat doch wie ein Erwachsener gelebt. Deshalb fordere ich für ihn: lebenslange Haft."

Schrift:  

druckensenden

Bookmark

schließen

Social Bookmarks

Diesen Artikel bookmarken bei...

0 Trackbacks

Die Trackback URL zu diesem Artikel ist:
http://www.derwesten.de/community/remoteS1Articles/news-986626/trackbacks/create

2 Kommentare

Philipp J. ist unschuldig, denn sonst hätte man Anwesenheits- und Tatspuren IM HAUS und AN DER LEICHE von ihm finden müssen.

Nicht einmal Kriminalistik-Profis vom BKA hätten solche Spuren restlos mit Wasser beseitigen können, ohne die ganze Wohnung unter Wasser zu setzen.

#1von Winfried Sobottka, am 01.04.2008 um 22:31

Philipp hat mit mir zusammen gearbeitet, ich war allerdings bereits ein paar Jahre vor der Tat weggezogen und hatte ihn seitdem nicht mehr gesehen. Von allem was ich sagen kann, hatte er ein behütetes Elternhaus, Freunde, hat viel in seiner Freizeit unternommen. Den Clown gemiemt hat er damals nicht. Er war eher eine Frohnatur, hat gern gelacht und man konnte dennoch auch sehr gut ernste und tiefgründige Gespräche mit ihm führen.

Ob er schuldig ist, kann ich nicht sagen. Soweit ich gehört habe, hat man ihn auf dem Video einer Tankstelle gesehen und feststellen können, dass sich sein Handy zum Tatzeitpunkt in der Nähe des sehr abgelegenen Hauses befand. Außerdem habe er den Telefonhörer in seinem Zimmer hinter dem Schrank versteckt.

Hier passt einiges nicht zusammen, aber soll man an eine Verschwörung glauben? Wie klar reagiert man in einer solchen Extremsituation? Ich frage mich was passiert ist. Hat er im Affekt mit der Taschenlampe zugeschlagen und das brachte dann alles ins rollen? Innerlich wollen viele Täter unterbewusst gefasst werden und ringen mit sich selbst. Vielleicht erklären sich einige der Widersprüche so.

Philipp soll in der Zeit vor der Tat mit merkwürdigen Aktionen wie dem verprassen der ihm anvertrauten Klassenkasse auffällig geworden sein. War das ein Vorzeichen?

So wie ich ihn kannte, sieht es für mich so aus: Wenn Philipp (so wie ich ihn von früher kannte) die Tat begangen hat, glaube ich nicht mehr daran, dass man es im Vorfeld hätte bemerken können oder am Charakter eines zumindest mit Wahrscheinlichkeit vorhersagen kann. Ich glaube auch nicht, dass seine Eltern es hätten merken oder vorhersehen können, oder dass sie etwas falsch gemacht haben, dass ihnen eine Mitschuld gibt. Wenn er es war, dann ist es bei jedem beliebigen Menschen in meinem Umfeld möglich, dass sich plötzlich irgendwo ein Schalter umlegt und den Menschenverstand völlig ausschaltet. Ich hätte Eide geschworen, dass Philipp nicht zu sowas fähig ist. Kann man wirklich begreifen, dass jemand, den man kennt zu so etwas fähig ist. Ich sage damit nicht, dass Philipp es nicht war. Aber ich kann mir keinen Menschen vorstellen, der zu so einer Tat fähig ist.

Niemand der Leute mit denen ich gesprochen habe die Philipp kannten hätte sich das auch nur im geringsten vorstellen können.

Was bleibt ist, dass in dieser Nacht Nadine auf entsetzlichste Weise zu Tode kam und damit das Leben ihrer Familie und auch das von Philipp, seinen Eltern und seiner Freunde zerstört wurde. Alle werden diese Eine Nacht ihr Leben lang mit sich tragen.

Ich begreife es nicht.

#2von Boris C, am 06.01.2009 um 10:11